Gastbeitrag: Trusted Flagger und die Meinungsfreiheit in der EU

October 16, 2024

Seit vergangener Woche diskutiert Politik-Deutschland hitzig über den Digital Services Act (DSA). Dabei geht es um Meinungsfreiheit, Zensurvorwürfe gegen nationale Behörden und die EU sowie sogenannte Trusted Flagger. In der oft emotionalen Diskussion ist einiges durcheinandergekommen. Als Europaabgeordnete, die die Entstehung des DSA eng begleitet hat, möchte ich versuchen, etwas Struktur in die Debatte zu bringen und zur Versachlichung beizutragen.

Was ist geschehen?

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, die in Deutschland für die Umsetzung des DSA zuständig ist, äußerte sich Anfang Oktober in einer Pressemitteilung wie folgt:

"Plattformen sind verpflichtet, auf Meldungen von Trusted Flaggern sofort zu reagieren. Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. Das hilft, das Internet sicherer zu machen."

Anlass war die Ernennung des ersten sogenannten Trusted Flagger in Deutschland, der Meldestelle REspect! der Stiftung zur Förderung derJugend in Baden-Württemberg.

Was folgte war ein Reigen von Anschuldigungen, zuerst gegen Müller, dann gegen die Bundesregierung und schließlich „die EU“, sie würde unliebsame Meinungen via DSA löschen. Damit habe man quasi staatlich-private Zensurinstanzen geschaffen, die erlaubte Meinungsäußerungen systematisch unterdrücke. Daneben entflammte eine weitere Debatte über einen eventuell islamistischen Hintergrund des REspect-Direktors.

 

Die Aussage von Klaus Müller

Der Ausgangspunkt der Debatte ist ausgesprochen unglücklich. Denn Klaus Müllers Aussage ist teilweise unzutreffend und irreführend. Während Hassrede durchaus strafrechtlich relevant sein kann, ist die Verbreitung von „Fake News“ meist nicht rechtswidrig. Diese Fälle sind damit auch explizit nicht im Anwendungsbereich des DSA. Das Gesetz regelt ausschließlich den Umgang beziehungsweise die Entfernung von illegalen Produkten und Inhalten, aber eben nicht Aussagen die zwar problematisch sein mögen, aber nicht rechtswidrig sind. Die Debatte während der Gesetzesverhandlungen lief unter dem Stichwort „awful but lawful“. Insofern ist der Aufschrei gegenüber der Aussage verständlich und berechtigt, erübrigt sich aber, wenn man in das eigentliche Gesetz blickt. Müllers Aussage ist ein hervorragendes Beispiel für Online Content, der zwar irreführend aber nicht illegal ist. Müller selbst stellte in einem Interview mit der Welt klar, dass seine Aussage sich nur auf illegale Inhalte bezog. Hier lag also eher unsaubere Pressearbeit als ein Angriff auf die Meinungsfreiheit vor.

 

Im Zentrum der Kritik: Trusted Flagger

Das Konzept der Trusted Flagger stammt von Social Media Plattformen, die das über ihre AGBs regeln. Denn bei sehr großen Plattformen gehen regelmäßig zahlreiche Meldungen zu rechtswidrigen Inhalten ein; die prioritäre Behandlung der Meldungen durch Trusted Flagger als Stellen mit besonderen Sachkenntnissen soll die Effektivität des Verfahrens steigern. Dieses Konzept wurde jetzt auf den DSA übertragen, demnach sind Trusted Flagger Organisationen mit besonderer Expertise in der Erkennung und Meldung illegaler Inhalte. Sie müssen von den nationalen Behörden benannt werden. Die Plattformen sind dazu verpflichtet, Meldungen dieser Trusted Flagger bevorzugt gegenüber anderen Meldungen zu behandeln.  Anschließend müssen sie schnellstmöglich Maßnahmen ergreifen, wie die Löschung von Inhalten. Trusted Flagger selbst löschen jedoch keine Inhalte. Über das Löschen entscheiden weiterhin Plattformen und final im Streitfall Gerichte.

Nicht nur in sozialen Medien, sondern insbesondere auch auf Online-Marktplätzen ist das System relevant - zum Beispiel zur Meldung unsicherer oder gefälschter Produkte.

Der Trusted Flagger Status kann von den jeweiligen Koordinatoren für Digitale Dienste (in Deutschland der Bundesnetzagentur) widerrufen werden, wenn berechtigte Gründe vorliegen, dass die betreffende Stelle die oben genannten Bedingungen nicht mehr erfüllt.

 

Die Meldestelle REspect

Der Fall des Leiters der Meldestelle REspect, Ahmed Gaafar, muss zweifellos untersucht werden. Ein Foto in sozialen Medien zeigte ihn zusammen mit dem Hamas-Sympathisanten Großimam Ahmed Al-Tayyib. Die Bundesnetzagentur muss hier inständig prüfen und Konsequenzen ziehen, sollte „REspect“ die hohen Anforderungen an Trusted Flagger nicht erfüllen. Dies ist im schlimmsten Fall mit einem weiteren Vertrauensverlust in die europäische Gesetzgebung verbunden. Dies wäre politisch sehr problematisch, aber vor allem ein Problem der mangelhaften Umsetzung, nicht der Gesetzesgrundlage an sich.

 

Der DSA und die Redefreiheit

Der DSA dient der besseren Durchsetzung geltenden Rechts der EU und ihrer Mitgliedsstaaten im digitalen Raum. Er regelt die Verantwortung von Online-Plattformen, sorgt für Transparenz und den Schutz der Rechte von Nutzern. Dabei ist er deutlich bürgerrechtsfreundlicher als das zurecht stark kritisierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das bis zur Ablösung durch den DSA in Deutschland galt.

 

Als Teil der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament hatte ich vor allem darauf gedrängt, dass der DSA Bürgerrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit online, stärkt statt unterwandert, wie es vorher in Deutschland mit dem NetzDG der Fall war. Daher ist es ein Erfolg für die Bürgerrechte, dass der DSA keine generelle Überwachung von Inhalten und die damit verbundenen verpflichtenden Uploadfilter enthält. Stattdessen bleibt es auch im DSA beim bewährten „Notice-and-take-down-Prinzip“, nach dem eine Plattform erst dann prüfen muss, wenn sie eine Meldung über vermeintlich illegalen Inhalt bzw. illegale Produkte erhält. Auch die Entfernung vermeintlich „schädlicher Inhalte“ konnte aus dem DSA herausgehalten. Genau das also, was nun in der deutschen Diskussion von einigen vorschnell unterstellt wurde. Und ganz wichtig: Es gibt nun endlich Mechanismen für Nutzer, um der Löschung eines Inhalts zu widersprechen. Dies ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem NetzDG, das keinen Widerspruchmechanismus vorsah.

 

Wenn Inhalte die Schwelle zur Illegalität überschreiten - etwa Aufrufe zu Gewalt - so können sie auf Basis des DSA entfernt und durch unser rechtsstaatliches Justizsystem verfolgt werden. Denn auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Was offline illegal ist, ist auch online illegal. Der DSA hilft als Instrument bei der Durchsetzung geltenden Rechts.

 

„Overblocking“ durch die Plattformen und digitale Bürgerrechte

Der DSA ist eine Verbesserung der bisherigen Rechtslage in Deutschland, aber sicherlich auch kein perfektes Gesetz. Die Sorge, dass Plattformen die durch Trusted Flagger gemeldeten Inhalte weniger sorgfältig prüfen, was zu sogenanntem Overblocking führen kann, ist berechtigt. Jedoch bleiben die Einspruchsmöglichkeiten gegen Löschungen bestehen, unabhängig davon, wessen Meldung zu einer Löschung geführt hat. Bisher haben derartige Systeme nicht zum Overblocking geführt, umso wichtiger die Umsetzung des DSA genau zu beobachten, damit dies nicht eintritt. Denn gerade im Konflikt unsererZeit zwischen Autokratie und Demokratie, erleben wir, wie autokratische Länder den digitalen Raum zur Überwachung ihrer Bürger und als Schauplatz von hybrider Kriegsführung nutzen. Bürgerrechte im digitalen Raum zu verteidigen, heißt deshalb auch demokratische Freiheiten zu verteidigen. So habe ich mich beispielswiese in jahrelangen Verhandlungen zum europäischen KI-Gesetz gegen die automatisierte Gesichtserkennnung im öffentlichen Raum eingesetzt und die Möglichkeiten der EU-Staaten wurden diesbezüglich massiv beschränkt. Aktuell sollten aber alle, die für Bürgerrechte streiten wollen, Alarm schlagen gegen die Einführung einer Chatkontrolle, die von der Europäischen Kommission und vielen Mitgliedsstaaten gewollt ist.

 

 Zum Gastbeitrag.